Griechenland: Mehr als Krise – Netzwerke und ihre kreativen Produkte.

Wir haben schon einiges über die Auswirkungen der Krise und der europäischen Austeritätspolitik geschrieben, sowie die Not und das Leid die diese ausgelöst hat, doch es gibt auch das andere, das junge, das progressive Griechenland. Zwar werden die Millenials in Griechenland oft als „die verlorene Generation“ bezeichnet, jedoch sind diese nicht bereit ihr Schicksal willfährig zu akzeptieren. Einige derer, die trotz der jetzigen Situation Gestaltungsmöglichkeiten sehen, sind im Umfeld des Impact Hubs Athen zu finden. Dort sprachen wir mit Stefanos, einem Mitglied des Athener Hubs.
Impact Hub versteht sich als Netzwerk, welches Menschen mit ähnlichen Ideen zusammenbringt, den gegenseitigen Erfahrungsaustausch fördert und durch diese Synergieeffekte einen gesellschaftlichen und individuellen Mehrwert schaffen will. Der erste Hub entstand 2005 in London, mittlerweile sind weltweit Hubs gegründet worden, beispielsweise in Deutschland – Berlin, München, Dresden und zukünftig in Bochum. Eine der drei Säulen von Impact Hub ist der angebotene Arbeitsraum. In diesem können sich Unternehmer*innen einen Arbeitsplatz mieten. Dieser Co-working-space bietet unterschiedlichsten Menschen einen Raum ihrer Ideen zu verwirklichen. In diesem Raum finde zum Teil auch die Vernetzung statt, denn an einem Arbeitsplatz kann, eine Unternehmer*in sitzen, die genau jene Expertisen oder Produkte benötigt, welche eine andere Mieter*in am Nebentisch anbietet. Es werden aber auch Unternehmensberatung, Start-Up-Workshops für Schüler*innen und Studierende und (Weiter-)Bildung angeboten. Als zusätzliche Säulen werden die Mitglieder und die themenbezogenen Veranstaltungen verstanden, denn jeder Hub hat einen bestimmten thematischen Fokus bzw. seinen eigene „Spezialität“ und es werden Vorträge bzw. Podiumsdiskussionen in diesem Sinne abgehalten. Der Fokus des Athener Hubs, mit seinen rund 100 Mitgliedern, liegt auf „sozialer Unternehmerschaft“, d.h. hier finden sich Unternehmungen, welche auch das Gemeinwohl im Blick haben. Diese müssen nicht unbedingt immer im Non-Profit-Sektor angesiedelt sein. Wenn eine Person eine Idee oder ein Produkt anbietet, welche dem Gemeinwohl zuträglich ist, soll diese daraus auch einen persönlichen Gewinn erzielen können. Dieser falle in den meisten Fällen sowieso nicht sehr hoch aus, wobei Steuern und Sozialversicherungsbeiträge gestiegen seien und es somit schwierig sei Investore*innen zu findet. Unser Gesprächspartner im Hub sah für Griechenland, im Bereich der „sozialen Unternehmerschaft“, noch ein großes Entwicklungspotenzial, gerade im Vergleich zu Großbritannien – wo er, wie viele junge Griech*innen, die wir trafen, studiert hat – bestehe noch Nachholbedarf. Seiner Einschätzung nach liege dies zum Teil an den rechtlichen Rahmenbedingungen. Nach derzeitiger Gesetzgebung gelte „soziale Unternehmerschaft“ nur für nicht-gewinn-orientierte Unternehmungen, wobei die rechtliche Definition hierbei und für kollektiv geführte Unternehmen nicht ganz eindeutig sei. Seit 2011 seien zwar einige soziale Kooperativen von drei bis fünf Partner*innen gegründet worden, wobei nicht jede Kooperative rechtlich auch ein soziales Unternehmen sei. Zumindest hat Alexis Tsipras das Hub im Sommer 2017 besucht und wirkte interessiert an der Idee dahinter. Er versicherte, dass sich die Regierung der Gesetzgebung, „soziale Unternehmerschaft“ betreffend, annehmen werde. Die politische Lage sei aber nur ein Teil des Problems, Stefanos sprach auch über Investitionsstau von privater Seite. Diese sei zu sehr in der alten Sektoren-Logik verhaftet. Das meiste Geld liege in Athen als Finanzzentrum: „Athen ist Griechenland – außerhalb von Athen gibt es bis auf Thessaloniki fast nur Agrarwirtschaft und Tourismus“. Er sehe keine zukünftigen Innovationen von diesen Sektoren ausgehend. Seine Annahme scheint schlüssig, unter Berücksichtigung der Tatsache, dass das größte private Vermögen Griechenlands bei Oligarchen der alten Industrien liegt – „Diese Personen hätten die Möglichkeiten in Innovation zu investieren, jedoch ist es eine andere Frage, ob sie dies [in ausreichendem Maße] tun werden.“ Jedoch müsse sich auch die Einstellung jeder einzelnen Griech*in ändern. Zu lange sei es für die Meisten das Ziel gewesen, eine Anstellung beim Staat zu erhalten, da diese als sicher und lukrativ galt. Das derzeitige Bildungssystem habe die Griech*innen nie zu Eigenverantwortung und Kreativität ermutigt, dadurch fehle teilweise der Mut, neue Wege zu gehen. Doch würden Bildungsreformen langsam in Angriff genommen und Schritt für Schritt entstehe auch dort ein neuer Geist, dessen Verinnerlichung noch seine Zeit brauchen werde. „Heute haben Jugendliche schon tolle Ideen. Zu meiner Schulzeit gab es dafür keine Unterstützung und ich habe nicht geglaubt, dass ich irgendetwas schaffen könnte, das waren nur alte dicke Männer, die das in meiner Vorstellung konnten. Das Bild der faulen Griech*innen ist falsch, es wird zwar viel gearbeitet, jedoch bleibt der Mehrwert bleibe aus. Es ist keine Frage der Faulheit, sondern der Effizienz.“ Er berichtete uns von einer Veranstaltung des Hubs, dem sogenannten Inkubator, so viel Kreativität und Ideenvielfalt, wie in den fünf Tagen des Events habe er, im Vergleich zu den „verkrustete Strukturen“, noch nie erlebt.
Auch wir konnten die zarten Pflänzchen, die Impact Hub unterstützt, kennenlernen. Wir sind sogar erst durch eines dies „Pflänzchen“ auf das Netzwerk aufmerksam geworden. Zufällig sind wir auf das Start-Up ConvertArt gestoßen, welches Up-Cycling-Mode anbietet. Aus alten Gummi-Reifen macht die Unternehmerin vegane Taschen, Rucksäcke und modische Accessoires. Sie sei während einer vierstündigen Wartezeit in einer Werkstatt darauf gekommen, als sie sah wie immer mehr ausrangierte Reifen zu einem Müllhaufen anwuchsen. Außerdem stellt sie Schmuck aus Altmetall, wie Nespressokapseln, her. Nun hat sie seit ca. drei Jahren ihr eigenes Geschäft, in dem sie, von der Material-Gewinnung über die Fertigung bis zum Verkauf alles selbst macht und für diese Ideen einen Start-Up-Preis erhalten hat. Was in der Bundesrepublik schon als Innovativ gelten kann, ist umso erstaunlicher, da in Griechenland Recycling noch nicht gesellschaftlich verankert ist. Bisher gibt es lediglich vier Upcyclingprojekte in Griechenland, das Thema ist neu für die Bevölkerung. Selbst recycelt wird in Athen eigentlich nicht: Es gibt zwar verschiedene Müllcontainer auf der Straße, in die man seinen Hausmüll entsorgt, außer einem Mal, haben wir die Container immer nur einzeln gesehen, da sie einfach auseinandergezogen und an die nächste Straßenecke gestellt werden, um längere Wege zu vermeiden. So kommt eben der gesamte Hausmüll in Papier-, Glas-, Plastik- oder den Restmüllcontainer. Recycling wird durch das Durchsuchen des Mülls als prekäre Beschäftigung durchgeführt, Einzelpersonen durchsuchen den Müll, welchen sie auf Handwagen zu einem Sammelplatz auf einer Ape oder Transporter bringen, die diesen zu Sammelstellen fahren. Abends kann man beobachten, wie die Wagen nach und nach auf einen gemieteten Parkplatz einfahren. Griechenland müsse wegen der geringen Recyclingquote von 20 %, Strafen an die EU-Kommission zahlen, wurde uns berichtet. In den Supermärkten und auf dem Wochenmarkt werden Plastiktüten kostenlos ausgegeben und wir haben nicht gesehen, dass gebrauchte Tüten wiederverwendet werden. Die Regierung wird ab 2018 geringe Gebühren für Plastiktüten einführen , dies führe heute zu einem Horten der Tüten von Privatpersonen. Doch auch in Deutschland war es ein langwieriger Prozess Recycling in der Gesellschaft zu verankern, beispielsweise durch kostenintensive mediale Kampagnen, um die heutige Recycling-Quote, welche von offizieller Seite mit 80 % angegeben wird, von Expert*innen aber auf höchstens halb so viel eingeschätzt wird und faktisch bei Plastikverpackungen nur bei 15 % liegt, zu erreichen. Nichtsdestotrotz oder gerade wegen des guten Gewissens ist Deutschland Europameister beim Kunststoffverbrauch.
Als wir die Unternehmerin fragten, wie die Lage für Start-Ups und junge Unternehmer*innen in Griechenland sei, erzählte sie uns von ausbleibender staatlicher Unterstützung, sie fühlte sich manchmal eher so, als würden ihr noch zusätzlich Steine in den Weg gelegt. Auch hier wurde uns erzählt, dass vor der Krise junge Menschen einen sicheren Arbeitsplatz beim Staat angestrebt hätten und das Konzept der Start-Ups und Kooperativen in Athen relativ neu sei. Unterstützung kommt von kleinen Organisationen, wie Impact Hub, die mit einer offenen Tür inmitten der Nachbarschaft für die Neugründer*innen da sind.
Wir haben in Folge des Gesprächs eine der erwähnten Podiumsdiskussionen im Impact Hub besucht. Zu Gast war ein Mitglied von „Fair-Bnb“. Diese sehen sich nicht als Produzent*innen oder Dienstleister*innen, sondern als globale Bewegung. Ihr Ziel ist es eine Vermietungsplattform ins Leben zu rufen, ähnlich Airbnb, bei der jedoch ein Teil der Mieteinnahmen wieder in Projekte der jeweiligen Nachbar*innenschaft fließen und diese einbezogen werden soll. So soll eine sozialverträgliche Vermietung von Ferienwohnungen entstehen, die nicht die Struktur der Viertel, durch Gleichgültigkeit am dortigen Zusammenleben, zerstören. Allerdings wurde in der Diskussion angemerkt, dass viele Menschen für eine Zeit im Ausland sind, ihre Wohnung also zwischenvermieten wollen, sowie andere wieder für längere Aufenthalt, wie Forscher*innen oder Autor*innen, eine Zwischenmiete suchen und somit auch an der Nachbar*innenschaft interessiert sind, die aber auch in ihren Bedürfnissen wieder sehr heterogen ist. Bei den negativen, externen Effekten, welche die gängigen Plattformen erzeugen, ist dies sicherlich ein guter Ansatz, jedoch befindet sich die „Bewegung“ noch in den Kinderschuhen und ist über die Rahmensetzung in Form eines „Manifest“ zum Zeitpunkt der Veranstaltung noch nicht hinaus gewesen, sodass Fragen zum wann und wie nicht beantwortet werden konnten. Dieses Projekt ist aber exemplarisch für die Vision von Impact Hub – gemeinwohlorientiert und innovativ.
Neben diesem unmittelbaren Einfluss hat Impact Hub, aber auch indirekte Effekt. Wir haben beispielsweise den Deutsch-Griechen Antonis Schwarz getroffen, der sein Erbe für ökologische und soziale Projekte einsetzt, sowie die Guerilla Foundation gegründet hat. Er ist in Griechenland und Deutschland aufgewachsen, hat in Spanien und Großbritannien studiert. Im Jahr 2013 hat er sich entschieden, seinen Lebensmittelpunkt nach Athen zu verlegen. Er berichtete uns, dass, als er seine Aktivitäten in Griechenland ausweiten wollte, sein erster Weg auch in das Athener Hub führte. Im Jahr 2014 ist durch ihn eine Art griechisches Abgeordneten-Watch entstanden, Vouli-Watch. Die Anfänge waren schwierig, da das Misstrauen gegenüber NGOs wegen Veruntreuungsfällen und dem allgemeinen Zweifel am Interesse an einem gemeinnützigen Projekt in der Gesellschaft sehr hoch war: NGOs würden häufig nur gegründet, um Seilschaften zu knüpfen. Auf der anderen Seite hatten die Politiker*innen Angst bloßgestellt zu werden. Nach Tonis Einschätzung sei die griechische Gesellschaft eher konservativ, 1/3 der Progressiven würden in den Großstädten leben. Auch er sieht Probleme bei der Bildung, einseitige Medien und die orthodoxe Kirche, die die Gesellschaft prägen. Diese beschreibt er als konfrontativ: Kompromisse gelten, bis in die Politik, als Schwäche, gleichzeitig ist die Zivilcourage hoch. Auch die Korruption in der Politik sei ein vertrauenszerstörendes Problem, welches bis heute bestehe. Dies bestätigte uns auch Ioanna Fotopoulou. Die gebürtige Thessalonicherin ist ebenfalls Mitglied des Impact Hubs. Sie entwarf mit ihrer Schwester eine Software gegen Steuerhinterziehung für die Lokalregierungen, da früher Steuerunterlagen lediglich in Papierform vorlagen und schonmal durch ein Feuer zerstört wurden. Allerdings haben nur rund 25 Gemeinden die Software erworben und genutzt. Aufgrund der Kosten und da anderer Gemeinden Korruption unterstützen würden, ist dieses Projekt gescheitert.
Seit dem dritten Sparpaket sei die Aufbruchstimmung in Griechenland vorüber. Eine neue junge Partei, die mehr direkte Demokratie zulasse als die Transparency and Open Public Data Plattform der Regierung: Diavgeia, in der Gesetzentwürfe kommentiert oder Themen nach 1 Mio. Unterschriften besprochen, aber nicht berücksichtigt oder kommentiert werden müssen, wäre vielleicht eine Möglichkeit, um Resignation wieder in Aktion zu verändern, meinte Toni. Den Braindrain sieht er daher als Chance, dass jungen Menschen, wie er, mit Ideen aus dem Ausland zurück in Griechenland etwas verändern wollen. Er würde gerne zukünftig eine griechische Bürgerbewegung nach dem Vorbild Campacts gründen und eine Ausstellung über die Militärdiktatur veranstalten – in den Schulbüchern höre die griechische Geschichte mit dem 2. Weltkrieg auf und der Patriotismus verhindere eine Kritik der griechischen Geschichte in weiten Teilen der Gesellschaft.
Auch wenn seine Stiftung in Deutschland ansässig ist, wo er ökologische Projekte, wie „Ende Gelände“, unterstützt, hat er sich auch für Greenpeace nach der Ölkatastrophe vor Athen und das das Skater-Café Latraac eingesetzt. Wir trafen den Architekten und Gründer Zachos Varfis, selbst Skater seit seinen Mitt-Zwanzigern. Er wollte einen Platz in Athen schaffen an dem geskatet werden kann, da in ganz Athen keine einzige Halfpipe zu finden gewesen sei, aber darüber hinaus auch einen Ort, an dem gemeinschaftlich ein architektonisches und urband-gardening Projekt umgesetzt wird und an dem die Community mit ihren Familien auf ein Getränk oder zu regelmäßig stattfindenden DJ-Auftritten zusammenkommen kann und ein sozialer Prozess angestoßen wird In diesem privaten Projekt findet sich der Mut zur Kreativität und Eigenverantwortung wieder: Städtische Plätze können kreativ gestaltet werden. Heute befindet sich, durch Unterstützung von Crowdfunding, der kommunalen Politik und seiner Freund*innen, ein innovativer Ort in einer Nachbarschaft, welche ansonsten eher für Prostitution und Drogenkonsum bekannt war, wieder. Die linke Stadtteilregierung war dem Projekt gegenüber sehr offen, um ein Vorbildprojekt in dem Viertel zu etablieren, allerdings hat auch Zachos mit der Bürokratie zu kämpfen gehabt: „Ich habe an 14 Türen geklopft, bis mich zwei angehört haben. Und bei einem privaten Projekt sind die Möglichkeiten der Unterstützung sehr gering. Leider gelten nicht für jedeN die gleichen Regeln in Griechenland, es ist teilweise etwas willkürlich und man kann sich nicht auf das System verlassen.“ Einschränkend ist zu sagen, die Ausrichtung des Cafés scheint auf internationaler Kundschaft zu liegen. Zachos hat eine englische Schule besucht und war als Architekt in London tätig. Er erhält mehr Unterstützung aus der internationalen als nationalen Community. Da auch das Angebot der Skatershops in englischer Sprache sei, sei auch die Speisekarte im Laatrac lediglich auf Englisch. Die Preise sind auch auf diesem Niveau, was wir kritisch hinterfragten. „Ich bin 39 Jahre alt und als Architekt in Krisenzeiten ist man nicht sehr gefragt. Es gibt genug junge Griech*innen, die nicht mehr wollen, als eine Familie zu gründen und sich nicht mal gedanklich mehr trauen. Also wollte ich eine kleine Revolution machen, im Kleinen was verändern und habe mich getraut, auch wenn wir anfangs nicht glauben konnten, dass es tatsächlich passiert. Ich muss erst lernen ein Unternehmer zu sein und mache dabei auch Fehler. Wir finden langsam unsere Identität und machen aktuell keinen Gewinn, sondern tragen uns Monat für Monat grade so. Um das Geld geht es mir allerdings nicht, ich mache es, weil ich es gerne mache.“ Genau diese Einstellung hat Toni so begeistert, wie er uns erzählte. Auch die Gäste scheinen begeistert, Varfis erzählte uns, wie ihm ein Skater aus Los Angeles sagte, dass er einen solchen Ort auch gerne in LA vorfinden würde.
Natürlich soll nicht behauptet werden, dies wäre alles allein Impact Hub zu zuschreiben, aber es zeigt, dass Vernetzung und kreative Räume Früchte tragen und Griechenland so viel mehr als nur Krise ist.

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