No direction home – Geflüchtete in Griechenland

In diesem Beitrag möchten wir kurz die Rahmenbedingungen der Flucht nach bzw. über Griechenland darstellen und das Fotobuch „No direction home“, mit Arbeiten von 30 griechischen Fotograf*innen, sowie die Situation in den griechischen Camps, in Idomeni und auf Lesbos im Vergleich zu selbstorganisierten Projekten, wie dem Hotel City Plaza, Khora und dem queer-feministischen Cyklopi vorstellen.

Bei einer Veranstaltung der Rosa Luxemburg Stiftung NRW, der Initiativgruppe Griechische Kultur in der BRD , der Melanchthon Akademie , des Kölner Flüchtlingsrats  wurde das Fotobuch „No direction home“  vorgestellt, welches über die Rosa Luxemburg Stiftung Athen und NRW kostenfrei bezogen werden kann .

Griechenland ist vor allem seit 2015 ein Transitland für Geflüchtete: Die Route aus den Herkunftsregionen wie Syrien, Irak, Afghanistan und Nordafrika, führte zumeist über die Türkei, Ägäis und griechische Inseln, beispielsweise Lesbos, in ein inoffizielles Camp nach Idomeni und von da über Mazedonien, via der Balkanroute, in die westeuropäischen Zielländer. Im März 2016 wurde der sogenannte Türkei-Deal abgeschlossen: Die Türkei erhält Gelder, um die Situation der Geflüchteten in den türkischen Camps zu verbessern, gleichzeitig soll sie verhindern, dass Schlepper Geflüchtete nach Griechenland bringen. Griechenland wiederum soll Geflüchtete zurück in die Türkei schicken, wofür Deutschland dann eine syrische geflüchtete Person aus Griechenland aufnehmen würde. Zudem versucht Frontex mit 1.500 Beamt*innen die Inseln der Ägäis zu überwachen, an der Grenze zwischen der Türkei und Bulgarien wurde ein 260 km langer Stacheldrahtzaun errichtet, welcher schwer zu überwachen ist. Es wirkt schon scheinheilig, wenn sich Europa über Trumps Mauer zu Mexiko, die im Übrigen bereits unter Obama  teilweise errichtet wurde, echauffiert, wobei auch hier Zäune gezogen werden, um Menschen von der Einreise abzuhalten.

Marios Lolos, Vorsitzender der Vereinigung „Fotoreporter Griechenlands“, hat einige Zeit auf Lesbos verbracht. Jeden Morgen sind die Ehrenamtlichen nach dem Aufstehen auf den höchsten Punkt der Insel gestiegen und haben nach Booten Ausschau gehalten, sich ausgerechnet, wo diese an der Insel ankommen müssten und dort auf Geflüchtete gewartet. Teilweise waren die kleinen Schlauchboote nicht mehr zu erkennen, weil sich mehr als 40 Personen darauf befanden. Von den Inseln ging es für die Geflüchteten weiter nach Idomeni, in die inoffiziellen Camps. Heute fängt die türkische und die griechische Küstenwache die Boote auf dem offenen Meer ab und trennt ganze Familien: Beispielsweise kam ein elfjähriges Kind in die Türkei, die Mutter aber in ein griechisches Camp, wobei der Vater und ein Geschwisterchen nach Deutschland kamen. In Idomeni war als Vertretung des griechischen Staats nur die Polizei vor Ort, dieser ist sehr schlammreich, sodass den Kindern oft nicht viel mehr blieb, als in dem Schlamm zu spielen. Marios schämte sich zu antworten, wenn die Geflüchteten ihn fragten, wann die Grenzen wieder aufmachen würden, denn sie werden wohl nicht mehr geöffnet. Letztlich wurden die Camps durch die Polizei geräumt. Die Geflüchteten wurden mit Bussen in offizielle Camps transportiert. Für Fotograf*innen herrschte ein dreitägiges Fotografierverbot. Dies galt aber auch lange nach der Räumung, so berichteten uns Freunde, die für ein Fotoprojekt in die geräumten Lager nach Idomeni kamen, dass sie von der Polizei verhaftet wurden. Sie sahen neben der Polizeiwache Geflüchtete, die auf dem Boden sitzen mussten und erinnern sich noch heute an die verzweifelten Blicke. Ein Geflüchteter berichtete von dem Tag, an dem bewaffnete Polizisten sie zwangen, in Busse zu steigen. Die Polizei habe die Zelte abgerissen und sie mussten ihr Hab und Gut zurücklassen, gewaschene Wäsche flatterte noch auf Leinen. In den offiziellen Camps wurden Afrikastämmige, nach zwei Tagen, um 6 Uhr von der Polizei für eine angebliche Passkontrolle auf die Wache gebracht. Sie nahmen Fingerabdrücke, machten Fotos und nahmen ihnen das „kleine Papier“ ab, welches jede*R Geflüchtete bei der Ankunft in Griechenland erhält und welches einen befristeten Aufenthalt erlaubt. Diese Prozedur dauerte einen Tag, anschließend wurden sie in ein altes Militärgefängnis gebracht und dort festgehalten. Weshalb dies geschah, konnte oder, wollte ihnen niemand sagen. Auch anwaltliche Unterstützung blieb aus, da sie ohne das „kleine Papier“ keinen Nachweis eines Aufenthaltsrecht vorweisen konnten. Wer nicht bis zu 18 Monaten in diesen Zellen, bei zwei schlechten Mahlzeiten täglich, bleiben wollte, dem wurde angeboten, dass er über die Internationale Organisation für Migration (IOM) einen Antrag stellen kann, 400 EUR erhalte und zurück in das Herkunftsland gebracht würde. Viele waren so hoffnungslos, dass sie diesen Antrag schließlich stellten und so de facto abgeschoben wurden.

Marios nennt Idomeni eine Lücke in der Menschlichkeit. Neben Idomeni, waren der Victoriaplatz in Athen oder der Hafen von Piräus weitere inoffizielle Sammelplätze. Zu den meisten offiziellen Camps in Griechenland erhalten selbstorganisierte Initiativen oder Journalist*innen keinen Zugang, mit der Begründung, dass ihre persönliche Sicherheit nicht gewährleistet werden könne.  Internationale NGOs versorgen die Geflüchtete mit dem Notwendigsten, aber z. B. eine Kinderbetreuung, gemeinsames Kochen oder Aktivitäten für die Menschen, die dort teilweise seit 1,5 Jahren untätig herumsitzen müssen, wurden in vielen Camps durch Gruppen von internationalen Ehrenamtlichen gestemmt. Diese würden nicht mehr in die Arbeit eingebunden, sodass sie ihre Angebote vor den Camps, oder in Fällen der Kooperation mit dem Sicherheitspersonal bzw. einem inoffiziellen Zugang heimlich stattfinden. Journalist*innen erzählten uns von 45-minütigen Sammelführungen, bei denen natürlich nicht der Alltag eingefangen oder die persönliche Geschichte der Bewohner*innen erfahren werden kann. Monitor hat sich daher entschlossen, die Zustände heimlich zu filmen.

SYRIZA-Abgebordnete haben uns auf die Frage nach der Situation auf den Inseln geantwortet, dass die EU mit der Schließung der Grenzen die Geflüchteten-Versorgung zum Problem Griechenlands gemacht habe. Obwohl der Staat kaputtgespart sei, hätten sie 90 Prozent der Kinder geimpft, aber es fehle, in einem Land, in dem die Bürger selbst kein Geld für Essen und Medizin haben, an Geldern für Infrastruktur, hygienische, medizinische und auch die Lebensmittelversorgung könne nur durch Spenden organisiert werden. Es sei teilweise das Wasser ausgegangen, es gebe keinen Platz für Gräber und keine Entsorgungsmöglichkeit für die Rettungswesten[1] – nebenbei bemerkt verdienen unter anderem auch deutsche Firmen an diesen. Es sind nur 30 Prozent der vereinbarten Anzahl an Geflüchteten aus Griechenland und Italien in andere EU-Länder aufgenommen worden. Dieses Abkommen wurde im September 2015 geschlossen und es sollten 66.000 Geflüchtete aus Ländern, welche auf Grund ihrer geografischen Lage  ein hohes Geflüchteten-Aufkommen haben, wie Griechenland, auf weitere EU-Ländern verteilt werden. Es können aber lediglich Geflüchtete einen Antrag auf Umsiedlung stellen, die vor dem EU-Türkei-Abkommen angekommen sind und deren Nationalität eine Asylanerkennung von 75 Prozent im europäischen Durchschnitt hat – bei irakischen Geflüchteten ist beispielsweise die Anerkennungsquote vor Kurzem auf 73 Prozent gesunken. Giorgios Chondros, Sprecher für SYRIZA, rechnete uns die Zahlen im Vergleich zu Berlin vor. Anhand aktueller Daten leben auf Lesbos rund 85.000 Menschen, allein im Jahr 2015 sind 600.000 Geflüchtete dort angekommen, zur Hochphasen 10.000 Menschen an einem Wochenende. Wenn dies auf Berlin umgerechnet würde, wären es knapp 26 Millionen Menschen und selbst für eine Großstadt eine Erstversorgung nicht mehr zu stemmen. Nach einem Bericht von PRO ASYL würden die Hilfsgelder, anders als an die Türkei, nicht an den griechischen Staat gehen, sondern an internationale Nichtregierungsorganisation gezahlt. Des Weiteren wurde den selbstverwalteten griechischen Hilfsstrukturen, welche von Anfang an vor Ort waren, eine weitere Mitarbeit untersagt. Seit diesem Jahr erhält die griechische Regierung die Hilfsgelder, allerdings bleibt durch die vorherige Handhabung nun keine andere Möglichkeit, als weiterhin internationalen Organisationen zu beauftragen, da die heimischen Strukturen zerschlagen wurden. Es sei ihnen untersagt worden, die Geflüchteten von den Inseln auf das Festland zu bringen, da die EU eine illegale Weiterreise befürchtet. Die deutsche Regierung würde Druck auf Griechenland ausüben, die Geflüchteten, die über die Türkei ankommen, wieder rückzuführen, was aufgrund der schlimmen Bedingungen dort von der griechischen Regierung nicht als Lösung angesehen werden könne, sie fordern eine paneuropäische Lösung. Statt staatlicher Sicherheitskräfte würden zivile, bewaffnete Gruppen die Camps „beschützen“, die de facto aus Rechten bestünden. Obwohl uns gesagt wurde, SYRIZA würde eine europäische Küstenwache oder Frontex ablehnen, sind diese zurzeit dort tätig. Dagegen nennt Electra Alexandropoulou, Mitarbeiterin im Rosa-Luxemburg-Stiftung Büro in Athen, die Zustände auf den Inseln eine gewollte politische Entscheidung. Wie könne die EU die Türkei, welche ihrer Ansicht nach eine Diktatur sei, als sicheres Drittland einstufen und drei Millionen EUR zur Verfügung stellen, ohne den tatsächlichen Einsatz der Gelder zu prüfen? Der Migrationsminister Jannis Mouzalas habe auf seiner Pressekonferenz am 1. November verkündet, dass er loyal mit der europäischen Geflüchtetenpolitik sei und die Geflüchteten wissen sollten, dass sie in Griechenland nicht ankommen könnten, sondern zurückgeschickt würden. Für seine Haltung erhält er viel Kritik, auch aus Reihen seiner Partei SYRIZA.

Marios berichtete, dass die Geflüchteten demonstrieren und in Hungerstreik treten würden, um ihre Weiterreise von den Inseln zu bewirken. Allerdings würden daraufhin Angriffe von der Polizei und rechtsextremen Anwohner*innen erfolgen. Die Medien schwiegen zu den Missständen, sie berichten nur, wenn etwas Negatives in den Camps oder durch ihre Bewohner*innen passiere. Damit würden sie eine fremdenfeindliche Sicht auf die Geflüchteten propagieren und hätten so auch der faschistischen Partei in Griechenland, Golden Dawn, Aufschwung gegeben. Selbst als Steine und Molotowcocktails auf die Camps geworfen wurden, wurde in den griechischen Mainstreammedien nur von „aufgebrachten Nachbarn“ gesprochen In Malakasa nahe Athen wollten Geflüchtete neben ihrer Unterkunft, einer ehemaligen Kaserne, zur Selbstversorgung und als Aktivität, die Erde bestellen, was ihnen aufgrund der darin befindlichen Minen vom Übungsplatz untersagt worden sei. In einem Camp bei Larissa werde die, schlechte, Verpflegung durch den Caterer der griechischen Armee ausgeführt, ohne, dass es je eine öffentliche Ausschreibung gegeben habe – im Gegensatz zu ländlichen Camps, in denen es viele Agrarkooperativen gibt und die Gelder für die Versorgung somit in lokale Strukturen fließen, sowie eine Kennenlernen von alten und neuen Bewohner*innen stattfinden kann. Aufgrund der fehlenden staatlichen Vertretung in den Camps, komme es zu Vergewaltigungen, Gewalt, Depressionen bis hin zu Selbstmorden. Die Kinder aus den Camps würden zwar in griechischen Schulen unterrichtet, jedoch erst nachmittags, sodass sie keinen Kontakt zu griechischen Kindern bekämen. Besonders isoliert seien unbegleitete Minderjährige, denen die Familien die Flucht finanziert haben und sie kein weiteres Geld besitzen. Schlepper, die u.a. am Victoriaplatz zu finden sind, versprechen ihnen gegen Bargeld, aktuell liegt der Betrag bei ca. 4.000 EUR pro Person, die Weiterreise nach Deutschland. Die einzige Möglichkeit an Geld zu kommen, bestehe für Minderjährige in Prostitution. Frauen wird von den Schleppern als Gegenleistung “angeboten“, für einige Monate bei ihnen zu wohnen. Die staatlichen Entscheidungen über Asyl oder den Familiennachzug dauern monatelang, sodass einige der Geflüchteten an Drogen geraten und abhängig werden (Vgl. kommender Artikel Kethea).

Alexandros, selbst Aktivist in Exarchia, der ausdrücklich nur über seine Erfahrungen und nicht im Namen einer Bewegung spricht, bestätigte die Aussagen. In einem Park haben zu Beginn des Geflüchtetenstroms hunderte, meist afghanische, Geflüchtete, festgesessen und dort gelebt. Sie hatten ihr Geld auf einem Konto, welches wegen der Kapitalverkehrskontrollen, einer Einschränkung der Bargeldabhebungen in Griechenland, nicht verfügbar war. 2015 waren staatliche Camps noch nicht eingerichtet. So lebten die Menschen Ende Juli, der Urlaubs- und Ferienzeit in Athen, bei großer Hitze, auf sich selbst gestellt. Die Bewohner*innen aus Exarchia begannen den Menschen Wasser und Lebensmittel zu bringen und ein Solidaritätsnetzwerk entstand. Ein wichtiger Ort für die Emanzipierung der Immigrant*innen, war ein Steki in Exarchia, ein besetztes Haus, indem sich eine Bar befindet, in dieser finden Versammlungen und Vernetzung statt. In den Räumen daneben wurde ein Lager eröffnet, in dem Zelte, Kleidung und Lebensmittel für die Geflüchteten aus dem Park gesammelt wurden. Es kam so viel zusammen, dass von dort aus noch Spenden auf die Inseln weitergeben werden konnten. Erst nach diesem Akt der selbstorganisierten Solidarität, handelte die Regierung.

Einige Geflüchtete werden als Übersetzer*innen in die Arbeit der NGOs integriert. Wir sprachen mit einem Geflüchteten aus Syrien, der sich gegen eine Übersetzungstätigkeit entschieden hat, weil er mit dem Krieg und dem Leid abschließen und sich in einem Hausprojekt ein normales Leben einrichten möchte und Freunde gefunden hat, mit denen er Musik machen kann. Andere werden selbst in ehrenamtlichen Projekten tätig, wie im Community Center Khora / in Exarchia. Dies ist kein Squat, die 10 bis 15 Gründer*innen haben sich bewusst für ein Mietverhältnis entschieden, um Sicherheit zu gewährleisten und die Nachbarschaft einzubinden. Diese hat zwar Sachspenden abgegeben, jedoch auch mal die Polizei wegen Ruhestörung wegen Kinderlärm am Nachmittag gerufen. Khora hatte sich zum Zeitpunkt unseres Besuchs noch nicht als ihr Aufenthaltsort etabliert. Das Zentrum stellt einen interkulturellen Raum, in dem gelernt, gearbeitet, kreiert, sozialisiert und entspannt, sowie eigene Projekte und Ideen eingebracht und umgesetzt werden können. Es werden Essen, Internet, PC-Kurse (u. a. Webdesign), Beratung, Bildung, Schreiner- und Metallworkshops, Skateboard-Unterricht –von einem Volunteer aus England, der via Crowdfunding zur Projektfinanzierung beträgt –, sowie ein Safespace und Kinder- und Frauenbereich angeboten. Ein breiteres Angebot für Backfische zu finden ist auch hier schwierig. Zudem gibt es ein zahnmedizinisches Angebot (Vgl. Sozialkliniken). Khora finanziert sich komplett aus Spenden, die nicht an Forderungen gebunden sein dürfen oder eine Nennung der Spender*innen verlangen. So bleiben sie autonom und hierarchiefrei und daher wurden auch schon staatliche Gelder aus Europa abgelehnt. „JedeR ist Khora, der hier reinkommt.“ Jede Arbeitsgruppe im Haus ist unabhängig und alle kommen zu wöchentlichen Treffen zusammen. Die Sprache, in der das Meeting gehalten wird, wird je nach Verteilung der Teilnehmer*innen bestimmt und für die anderen übersetzt. Volunteers aus Europa kommen meist hochmotiviert und wollen vier Monate bleiben, merken aber nach einem Monat, dass sie sich zu sehr verausgabt haben. Es wird immer wieder daran erinnert, dass Auszeiten wichtig sind, aber im Alltag des Hauses dies schnell unter. Das Gespräch führen wir mit einem weiteren Geflüchteten aus Syrien, der sehr gut englisch spricht und der eine aktive Rolle im Haus eingenommen hat. Er erzählte uns, dass sich die Gesetze zu Ungunsten der Geflüchteten verändert haben: Früher wurde die Asylentscheidung nach 7 Monaten getroffen, heute dauere es 9/10 Monate, bis das erste Interview nach der Registrierung geführt wird, so könne die Entscheidung bis zu 2 Jahre dauern. Die meisten wollen nicht in Griechenland bleiben, da sie aufgrund der Krise keine Zukunft für sich sehen und bezahlen Schlepper, die sie per Fähre oder Flugzeug weiterbringen sollen. Auch er berichtete, dass sie um dieses Geld zu bekommen, u.a. als Sexarbeiter*innen arbeiten. War es früher der Plan, über die Balkanroute weiterzukommen, ist dies unter den schlimmen Bedingungen in Serbien, welche noch schlimmer als die griechischen seien, dies uns berichtete auch ein befreundeter Volunteer, kein Thema mehr. In Serbien fehle es an Strukturen, die Geflüchteten helfen und wenn diese initiiert würden, würden diese vom Staat kriminalisiert: Jede Arbeit für Geflüchtete sei illegal. Aber wer nur daran denke, dass er weiterwill, verschwende Zeit und Energie. Und was passiert, wenn man schließlich ein neues Land erreiche? Dort gebe es nur ein neues Camp und wieder nichts zu tun. Dieses Feststecken führe zu psychischen Krankheiten, bis hin zu Selbstmord. Daher habe er sich entschieden bei Khora aktiv mitzuwirken und sein Leben selbst zu gestalten: Er war nachvollziehbarerweise sehr bedacht, auf seinen Status als handelndes Subjekt und nicht als passives Objekt. So möchte er nicht als Übersetzer für jemanden arbeiten, sondern eigenständig tätowieren. Durch Reisen im Schengenraum, die ihm durch seinen befristeten Pass bis zu drei Monate möglich sind, nimmt er sich die nötige Auszeit, um sich Energie für die Arbeit zu bewahren zu bewahren und seinen Horizont zu erweitern.

Bis heute sind noch ca. 20 besetzte Häuser, u.a für Geflüchtete in dem Stadtteil zu finden (Vgl. Artikel Exarchia). Im Gegensatz zu den Camps, mit tausenden Bewohner*innen, sind die Hausprojekte persönlicher, man nennt sich beim Namen, es ist fast familiär, sie sind in der Nachbarschaft integriert, fühlen sich sicher, können ihre Meinung kundtun, partizipieren, die Kinder können seit 2016 tagsüber in die Schule gehen, organisieren interkulturelle Feste und wenn Bewohner*innen das Projekt verlassen, z. B. durch eine Familienzusammenführung in Deutschland, fließen viele Tränen. Aber natürlich geht das Zusammenleben in den Hausprojekten auch mit Problemen einher: Die einheimischen Besetzer*innen haben meist einen linken oder anarchistischen Hintergrund, den die Geflüchteten nicht unbedingt teilen. So versuchen sie eine Lebensform zu etablieren, ohne diese aufzuzwingen. Häusliche Gewalt wird nicht geduldet, zudem kommt es zu ideologischen Meinungsverschiedenheiten zwischen den einzelnen Hausprojekten, da diese ein heterogenes Spektrum darstellen.

In Exarchia haben wir Cyklopi, ein Frauen*-Hausprojekt besucht, in welchem nur Personen Zutritt haben, die sich nicht als männlich definieren. Das Projekt stellt einen Gegenpol zu den „Manarchists“ dar, die sie in anderen Hausprojekten kennenlernten. Seit Winter 2016 haben sie sich ausdrücklich mit Geflüchteten selbst und den solidarischen Projekten vernetzt und leben mit Geflüchteten zusammen, gemeinsam wird ein feministischer Ort, die Regeln des Zusammenlebens und ein Ort für Veranstaltungen, wie Versammlungen, Diskussionen, Workshops, mit einer Bar geschaffen. Sie arbeiten permanent an ihrem Selbstverständnis und lernen durch aufkommende Probleme, welche auch aufgrund der unterschiedlichen Hintergründe entstehen.

Wenn Hausprojekte seit zwei Jahren bestehen, institutionalisieren sich zumeist die Regeln des Zusammenlebens und es wird nicht mehr so variable auf Einflüsse durch (neue) Bewohner*innen reagiert. Auch die fehlende staatliche Förderung und das Angewiesen sein auf Freiwillige ist eine tägliche Herausforderung, hinzu kommt die Unsicherheit einer möglichen Räumung. Auch unter SYRIZA kam es zu Räumungen von Hausprojekten, bei denen auch Geflüchtete betroffen waren. Bei Häusern, die in Privatbesitz sind, räumt die Polizei diese, wenn ein Gerichtsbeschluss vorliegt. Bei Häusern, die in öffentlichem Besitz sind, müsste der Beauftragte für dieses Gebäude sich an die Staatsanwaltschaft wenden, dies passiere aber faktisch nicht, da für diese Räumungen von leerstehenden öffentlichen Gebäuden keine gesellschaftliche und politische Rückendeckung bestehe.

Eines der bekanntesten Projekte in Europa ist das Hotel City Plaza, nahe dem Victoriaplatz, der zwar kein, von der Polizei per racial profiling kontrollierter, Transitmigrationsplatz mehr ist, aber als Anlaufstelle für Geflüchtete von den Inseln dient – hier erhalten sie Informationen über Unterkunft, Dienstleistungen, sowie mobiles Internet, aber auch Schlepperangebote. Auf der anderen Seite ist in diesem Stadtteil auch die Parteizentrale der faschistischen Golden Dawn, obwohl der Stadtteil seit den 1990er Jahren sehr multikulturell ist. Daher ist auch die Antifa hier aktiv. Mit der Unterstützung von medico international ist eine erfolgreiche Kampagne entstanden. Die Entscheidung, das seit 2010 leerstehende Hotel für Geflüchtete zu besetzen, ist auch in besagtem Steki in Exarchia getroffen worden, welches immer noch ein beliebter Treffpunkt der Ehrenamtlichen ist. Die Idee war es, ein hierarchiefreies Projekt zu schaffen, in dem jedeR der Bewohner*innen ebenso eine Stimme hat, wie auch die Organisator*innen. Neben Unterkunft für ca. 400 Personen –aktuell 360 Bewohner*innen, darunter Kinder, Familien, Jugendliche und zehn Personen über 65 Jahren, sowie ein Gemeinschaftsschlafzimmer, in dem Ehrenamtliche wohnen können – wird auch ein Café in Selbstverwaltung geführt. Die Polizei war während der Besetzung anwesend, handelte aber nicht repressiv. Trotzdem kam es zu Angriffen von Faschist*innen, sodass die Rezeption 24 Stunden lang besetzt wird. Nachdem Gerüchte gestreut wurden, dass die Geflüchteten für die Unterkunft bezahlen müssten, haben die Organisator*innnen mit ihrer Anwältin eine Pressekonferenz abgehalten, auf der sie verkündeten, dass sie ausschließlich spendenbasiert arbeiten. Es sind verschiedene Arbeitsgruppen eingerichtet worden, in denen das kochen, putzen, die Kinderbetreuung, medizinische Versorgung, Reinigung, Lagerverwaltung, sowie Erziehung, Sprachkurse – englisch, auch extra für Frauen, was langsam anläuft, deutsch, auch für Frauen, aber auch griechisch, da viele Geflüchtete nun länger bleiben müssen, als sie wollen –, das Café und die Rezeption besetzt werden. JedeR Bewohner*in muss fünf Stunden pro Woche Gemeinschaftsarbeit leisten und die eigenen Räumlichkeiten sauber halten. Gewünscht wird, dass immer mindestens eine geflüchtete Person in einer Schicht aktiv ist. An der Rezeption ist immer auch eine griechische Person. Diese Gemeinschaftsarbeit war und ist teilweise  schwer zu organisieren. Besonders der Küchendienst wird fast ausschließlich von Bewohner*innen übernommen. Da sie nicht in ihren Zimmern kochen können, und die Essensgewohnheiten je nach kultureller Gewohnheit abweichen, kann es zu Unzufriedenheit, der einen oder der anderen Gruppe, kommen. Allgemein setzt das Projekt auf Selbstermächtigung und Eigenverantwortung. Wenn eine Person einen Ort sucht, wird zwar erklärt, wo dieser ist, ein Stadtplan ausgehändigt, aber nicht zwingend eine Begleitung organisiert. Auch ist es den Organisator*innen wichtig, dass sie auf bestehende Strukturen verweisen und nicht alle Angebote unter einem Dach anbieten. Es werden in Vollversammlungen, die für alle offen sind und von 100 bis 150 Personen besucht werden, je nachdem auf farsi, arabisch oder kurdisch gehalten und übersetzt werden, Aktuelles und auch die Regelungen besprochen. Diese Regeln werden allen neuen Bewohner*innen ausgehändigt, wenige verstehen diese sofort, manchen akzeptieren sie, andere sind misstrauisch, da sie schlechte Erfahrungen in militärisch organisierten Camps gemacht haben. Die Themen für die Vollversammlungen werden von einem Koordinationsteam erarbeitet, welches zwar für alle offen ist, aber in der Realität nur von den selben Personen besucht wird, vor allem von den griechischen Organisator*innen, welche von Anfang an bei dem Projekt dabei waren. Die Vollversammlungen werden vom Koordinationsteam moderiert und dieses sitzt vor Kopf. Zudem gibt es eine Volunteer-Versammlung, die in englischer Sprache gehalten wird und daher manchmal auch von, vor allem jungen männlichen, Geflüchteten besucht wird. Es gibt derzeit nur zwei Frauen, die gut englisch sprechen. Die Volunteers sind international, wenige Griech*innen, viele Deutsche. Der Entscheidungsprozess, wer in das Hotel einziehen darf, ist schwierig. Es wurden für Entscheidungen offene Wahlen auf der Mitgliederversammlung angeboten, an der sich wenige beteiligten. Es stellte sich heraus, dass sich die Bewohner*innen geheime Wahlen wünschten, da sie niemanden verletzen wollten.  Die von den Organisatior*innen angedachten Konzepte mussten an die Bedürfnisse der Bewohner*innen angepasst werden. Eine hierarchiefreie Regelung gestaltet sich im Alltag schwierig, dies zeigt sich schon bei Kleinigkeiten: Gibt es Probleme unter den Bewohner*innen und sei es nur der „verschwundene“ Staubsauger, werden die Organisator*innen zur Hilfe gerufen. Diese Problematiken zwischen Idealen und Alltag werden immer wieder hinterfragt. Da das Hotel bekannt ist und einen guten Ruf hat, erhalten sie täglich Anfragen. Nun muss abgewogen werden. Der Nachzug wird nun mit einzelnen Bewohner*innen abgesprochen und nicht im großen Kreis besprochen. Es ist wichtig, dass ein Proporz zwischen Nationen und Qualifikationen hergestellt wird: Syrer*innen haben eine bessere Chance auf Weiterreise, Menschen ohne Papiere dagegen nicht, Schwangere, Kranke und Kinder haben besonderen Schutz nötig, aber um die Selbstorganisation und Gemeinschaftsarbeit gewährleisten zu können, kann ein gelernter Handwerker oder Koch ein notwendiger Mehrwert für das Projekt sein. Durch die Krise sind Jobs, die für Migrant*innen eine Möglichkeit boten, kaum mehr vorhanden. Im Hotel sind nur ca. fünf Personen mit einer Arbeitserlaubnis berufstätig. Eine Küchenhilfe verdiene für 30 Stunden Wochenarbeit plus unbezahlter Überstunden knapp 200 EUR/ Monat. Eine Mutter mit vier Kindern erhalte 450 EUR aus EU-Gelder vom griechischen Staat. Es mussten auch schon Bewohner*innen gehen. Manche halten sich fast ausschließlich in ihrem staatlichen Camp auf, sodass sie Wohnraum blockieren, diese und andere kamen teilweise ihren Gemeinschaftspflichten nicht nach. Männer, die häusliche Gewalt ausübten, wurden nach Absprachen mit ihrer Familie ausgeschlossen. Einer der Männer hat dann vor dem Hotel gelungert, auch dies sind Herausforderungen. Manche Bewohner*innen gehen auch freiwillig, wenn sie eine eigene Wohnung gefunden haben oder zwecks einer Familienzusammenführung nach Deutschland oder Frankreich kommen. Uns wurde berichtet, dass Geflüchtete am Vortag zwischen 10 und 12 Uhr Bescheid bekommen, dass sie am nächsten Tag um 5 Uhr im Flugzeug sitzen müssen. Manche von ihnen wohnen schon ein Jahr hier und müssen einiges für die Abreise organisieren. Auch die Anreise, die nachts zum Flughafen ausschließlich mit einem Taxi möglich ist, müssen sie selbst organisieren.
Die Besitzerin des Hotels, die ihre 15 Mitarbeiter*innen 10 Monaten kein Gehalt mehr gezahlt hat, unterstellt dem Projekt eine Beschädigung des Hauses und versucht mithilfe der Staatsgewalt die Bewohner*innen aus dem Haus zu bekommen. Die –nun veraltete Inneneinrichtung sollten die ehemaligen Mitarbeiter*innen selbst versteigern, um hieraus ihre Ansprüche zu erhalten z. Die Hotelbesitzerin behauptet, das Haus im Anschluss dem UNHCR zu vermieten. Da auch unter SYRIZA private Häuser geräumt werden, wie beispielsweise ein anarchistisches Projekt, in dem auch drei geflüchtete Familien lebten und eine politische Politik der Abschreckung gegen neue Besetzungen herrscht, ist die Strategie des Hotels, dass gewaltlos Aufmerksamkeit generiert werden soll, wenn eine Räumung bevorsteht. Die Unsicherheit, dass dies passieren kann, ist alltäglich gegenwärtig.

Neben den erwähnten Projekten, existieren noch weitere Häuser in Exarchia, auch für alleinstehende Männer. Elliniko, neben einem verlassenen Baseballstadion, wo man nur mit Erlaubnis des Migrationsministers Zutritt erhält, aber auch mehrere Hausprojekte in der Hand eines Mannes, dem mafiöse Machenschaften nachgesagt werden – beispielsweise kämen nicht alle Essensspenden bei den Bewohner*innen an. Auch die ideologischen Differenzen tragen dazu bei, dass eine enge Zusammenarbeit zwischen den Projekten nicht immer möglich ist, auch wenn bei einer Räumung eines Projekts, die anderen Bewohner*innen aufnehmen und untereinander verteilen. So gehen die einen davon aus, dass die anarchistischen Projekte lieber unter sich bleiben, andere nehmen die Hausbesetzer*innen teilweise als ignorant wahr, da sie sich nur auf ihr Projekt fokussieren, sich moralisch über andere erheben und dabei nicht über den Tellerrand schauen würden. Auch wir und andere Journalisten haben die Erfahrung mit internationalen jungen Ehrenamtlichen gemacht, dass diese sich moralisch überlegen fühlen und herablassend mit Besucher*innen umgehen. Auf der anderen Seite ist es schwierig für Ehrenamtler*innen, mit denen wir gesprochen haben, sich abzugrenzen, da der Rückzugsraum fehlt und sie vom Alltag der Bewohner*innen leicht verschluckt werden können.

Allgemein ist in der Post-Syriza-Zeit ein Erschöpfungszustand in der Bewegung zu verzeichnen, nicht nur in Griechenland, auch die Welle der spontanen Solidarität in Europa habe stark nachgelassen, sodass aktuell keine Neubesetzungen von Häusern stattfänden. Zuletzt kamen Hilfsgüter per 42 Transporter aus Frankreich, welche von den Medien kriminalisiert wurden: „Sogar ausländische Anarchisten kommen nach Athen, um Häuser zu besetzen. Was ist in den Transportern? Liefern sie Waffen?“ Als Antwort haben sie Windeln und Teddys aus der Lieferung in die Kamera gehalten. Warum die Bewegung in Griechenland mit SYRIZA abgeebbt sei? Marios erzählte, dass während der Krise und ersten Demonstrationen 2011/12 vor dem Parlament Repressionen durch die Polizei gegenüber Demonstrierenden erfolgten und sogar Fotograf*innen angegriffen wurden. Er habe 28 Jahre keine Demonstration für die Regierung fotografiert, aber als SYRIZA an die Macht kam, änderte sich dies, da Tsipras um Unterstützung und Aufmerksamkeit aus Griechenland warb, damit er nach Europa eingeladen wird und seine Ideen vorstellen konnte. Sobald diese Einladung erfolgte, sprach Tsipras zu den Demonstrierenden, dass diese nun zuhause bleiben sollten und er in Europa für sie verhandle. Mit der OXI-Abstimmung, vor der die Mainstreammedien Gehirnwäsche für ein Ja betrieben hätten, habe Tspiras einen Purzelbaum hingelegt und alle Erwartungen seiner Unterstützer*innen, des mehrheitlichen Neins, sein für die Katz gewesen.

Aber auch wir in Deutschland können aktiv sein. Alexandros regte an, zu schauen, was in der eigenen Nachbarschaft fehlt, Aktionen zu gestalten, die auf diese Missstände aufmerksam machen, dabei Geflüchtete einzubeziehen. Und wer Griechenland unterstützen möchte, kann auf den Webseiten der Projekte schauen, welche Hilfsgüter aktuell benötigt werden und eine Spendenaktion initiieren und in einem Container nach Griechenland schicken lassen. Das Wichtigste sei die Vernetzung und sich nicht zurückzuziehen.

[1] In Barcelona haben wir eine Vertreterin des Projekts No mad makers  getroffen. Sie war als Freiwillige in einem Camp und frustriert von den Zuständen: Sie erlebte den Wettstreit der NGOs um die Hilfsgelder, die einseitige Berichterstattung der Medien, die nur Bilder verbreiten, durch die sie viele Klicks erhalten, die fehlenden Beschäftigungsmöglichkeiten der Bewohner*innen und das immense Geschäft mit der Flucht, wie mit Rettungswesten. So entstand ein Upcycling-Projekt, in dem auf Lesbos aus Rettungswesten Taschen hergestellt werden. In Workshops wird das Wissen vermittelt und kann dann von den Geflüchteten an weitere Bewohner*innen weitergegeben werden. In Thessaloniki werden aus alten und gereinigten Decken des Lagers Idomeni, Frauen angeleitet zu nähen und daraus Mäntel und Jacken herzustellen.

Ein Artikel von Anja Lenkeit und David Klässig

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